Digital Automotive Talk 2020
«Der Blick auf die Konsumenten ist entscheidend»
15. Juli 2020 agvs-upsa.ch – CO2-Reduktion, Vernetzung der Fahrzeuge, Covid-19 und Arbeitsplätze: Auf die Automobilindustrie warten viele Herausforderungen. Eine hochkarätige Runde mit Vertretern von Herstellern, Forschung und Zulieferern hat am Digital Automotive Talk 2020 diskutiert, wie diese gemeistert werden können.
Die hochkarätige Talkrunde mit Moderator Markus Lanz (links). Printscreen PwC
abi. Im Raum standen Sätze wie «Die E-Mobilität wird uns in den nächsten Jahren 15 bis 20 Prozent der Arbeitsplätze kosten», «In Deutschland werden aktuell so viele Autos verkauft wie 1975» oder «Reine E-Mobilität wird zu einseitig gefördert». Damit war einerseits für genug Gesprächsstoff gesorgt. Andererseits zeigen die Aussagen, wie vielfältig Herausforderungen für die Industrie sind, nicht nur wegen Corona.
So war für Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) klar: «Wir befinden uns im Auge eines Orkans und werden in Zukunft mit einer komplett veränderten Mobilität konfrontiert sein – sowohl bezüglich Dienstleistungen als auch Verhalten.» Sie sieht darin eine Chance für Deutschland, denn beispielsweise habe E-Mobilität eine grössere Wertschöpfung als herkömmliche. Dadurch könnte es mehr Arbeitsplätze geben als vorher, vor allem auch im Bereich der Digitalisierung. «Wir sind einfach 10 Jahre zu spät dran.»
Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie VDA, gab zu bedenken, dass Arbeitsplätze, die jetzt verloren gehen, nicht nach Deutschland zurückkommen werden. Dabei ist die Automobilindustrie in Deutschland nicht nur für die Wertschöpfung wichtig, sondern auch gesellschaftlich. «12 Prozent aller Steuereinnahmen hängen in Deutschland am Automobil», sagte sie.
Gastgeber Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, nahm den Faden auf und sprach von einer kritischen Situation für die gesamte Automobilindustrie. «Jetzt muss es darum gehen, die Arbeitsplätze der Zukunft zu schaffen, ohne zu viele in der Gegenwart zu verlieren», sagte Bratzel, der auch schon Referent am «Tag der Schweizer Garagisten» war. «Die Frage ist, ob wir die Agilität dazu haben. Denn nur weil man in der Vergangenheit gross und stark war, heisst das nicht, dass man eine Zukunft hat.»
Dabei dachte er an Technologiekonzerne wie Google oder Amazon, die sich in den Markt drängen, oder kleine, agile Unternehmen, die sich auf ein Thema fokussieren – und so den Etablierten voraus sind. «In den nächsten 5 bis 10 Jahren muss die Transformation bei den Herstellern gelingen. Dabei wird es Opfer geben», sagte Bratzel.
Dem schloss sich Markus Schäfer, Vorstandsmitglied der Daimler AG, an: «Wir müssen wie Tech-Player oder Software-Entwickler denken.» Daimler hat 2014 eine eigene Einheit für Software gegründet. «Das Insourcing der Software wird weitergehen. Wir bauen hier Kompetenzen auf und müssen diesen Weg schnell gehen.» Denn ein Auto sei nicht einfach ein Smartphone auf Rädern, wie oft gesagt werde. «Vielmehr sind es 100 Smartphones, die ein Fahrzeug ausmachen.»
Weniger Probleme damit hat die Robert Bosch GmbH, wie deren Vorsitzender der Geschäftsführung, Volkmar Denner, erklärte. «Bosch ist seit vielen Jahren ein Softwareunternehmen und fast die Hälfte unseres Personals sind Softwareentwickler», sagte er. «Fahrzeuge müssen als Internet-Teilnehmer gedacht werden. Für uns sind die Autos daher kein Internet auf Rädern, sondern Internet-of-Things-Devices.»
Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, ist zufrieden, wie sein Konzern mit den Herausforderungen umgeht und die Coronakrise gemanagt hat – auch wenn er in diesem Jahr bereits so viel Liquidität verloren wie im vergangenen Jahr gewonnen hat, nämlich 10 Milliarden Euro. Immerhin: Für die zweite Jahreshälfte ist Diess positiv. «Grösse hilft in einer solchen Situation wenig; sie schützt nicht in einer Zeit des Wandels. Das sehen wir auch an der Firma Tesla, die sehr gut durch die Krise gekommen ist.» Trotzdem gebe es nur wenige Hersteller, die besser als VW aufgestellt seien. «Wir bauen schnell Software-Kompetenz auf und sind bei der E-Mobilität gut dabei», sagte Diess. «Wir werden den Wandel daher nicht nur mitmachen, sondern mitgestalten.»
Gerade bezüglich Antriebe der Zukunft gingen die Meinungen auseinander. Während sich Felix Kuhnert, Global Automotive Leader bei PwC, als Fan der Technologieoffenheit outete, kommt eine Diskussion darüber für Diess zu spät. «Der Zug ist bereits aus dem Bahnhof rausgefahren.» Er glaube zwar an Wasserstoff, aber nicht für Autos, da er zu teuer sei. Für den VW-Konzernchef gibt es darum nur den batterieelektrischen Antrieb.
Stefan Wolf, Vorstandsvorsitzender des Zulieferers Elring Klinger AG, glaubt, dass auch in 30 Jahren noch Verbrenner unterwegs sein werden. «Ich sehe die Zukunft im Verbrenner, dessen Anteil aber immer mehr zurückgehen wird, in der Brennstoffzelle und jetzt in naher Zukunft im batterieelektrischen Antrieb.» Für Wolf liegt die Herausforderung darin, «dass wir über viele Jahre viele unterschiedliche Systeme haben werden». Darüber müsse man sich global Gedanken machen, nicht nur innerhalb eines Landes.
Die Robert Bosch GmbH hat ihre Strategie schon vor Jahren auf eine elektrifizierte Mobilität ausgelegt. «Technologieoffenheit ist wichtig», sagte Volkmar Denner. «Allerdings braucht es vor allem einen Wandel des Kraftstoffs. Wir müssen ihn CO2-neutral machen.» Bosch unterstütze daher das Vorgehen, eine Wasserstoff-Industrie in Europa aufzubauen. Der Durchbruch der E-Mobilität würde laut ihm übrigens leichter werden, wenn sich die Kunden mit weniger Reichweite zufrieden geben würden. «Die Kunden kaufen heute die grösste Batterie. Aber nicht, weil sie weit fahren, sondern weil sie weniger laden wollen – also aus reiner Bequemlichkeit.»
Schliesslich brachte es Markus Schäfer auf den Punkt: «Der Blick auf den Konsumenten ist entscheidend. Wir können eine Technologie zwar eine Zeit lang subventionieren, aber wenn der natürliche Kaufreiz nicht vorhanden ist, dann wird eine Technologie nicht funktionieren!»
Der Digital Automotive Talk 2020 kann hier nachgeschaut werden.
Die Volkswagen AG wurde als innovationsstärkster Konzern ausgezeichnet und erhielt den «Automotive-Innovations-Award» 2020. Quelle: Volkswagen.
Die hochkarätige Talkrunde mit Moderator Markus Lanz (links). Printscreen PwC
abi. Im Raum standen Sätze wie «Die E-Mobilität wird uns in den nächsten Jahren 15 bis 20 Prozent der Arbeitsplätze kosten», «In Deutschland werden aktuell so viele Autos verkauft wie 1975» oder «Reine E-Mobilität wird zu einseitig gefördert». Damit war einerseits für genug Gesprächsstoff gesorgt. Andererseits zeigen die Aussagen, wie vielfältig Herausforderungen für die Industrie sind, nicht nur wegen Corona.
So war für Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) klar: «Wir befinden uns im Auge eines Orkans und werden in Zukunft mit einer komplett veränderten Mobilität konfrontiert sein – sowohl bezüglich Dienstleistungen als auch Verhalten.» Sie sieht darin eine Chance für Deutschland, denn beispielsweise habe E-Mobilität eine grössere Wertschöpfung als herkömmliche. Dadurch könnte es mehr Arbeitsplätze geben als vorher, vor allem auch im Bereich der Digitalisierung. «Wir sind einfach 10 Jahre zu spät dran.»
Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie VDA, gab zu bedenken, dass Arbeitsplätze, die jetzt verloren gehen, nicht nach Deutschland zurückkommen werden. Dabei ist die Automobilindustrie in Deutschland nicht nur für die Wertschöpfung wichtig, sondern auch gesellschaftlich. «12 Prozent aller Steuereinnahmen hängen in Deutschland am Automobil», sagte sie.
Gastgeber Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, nahm den Faden auf und sprach von einer kritischen Situation für die gesamte Automobilindustrie. «Jetzt muss es darum gehen, die Arbeitsplätze der Zukunft zu schaffen, ohne zu viele in der Gegenwart zu verlieren», sagte Bratzel, der auch schon Referent am «Tag der Schweizer Garagisten» war. «Die Frage ist, ob wir die Agilität dazu haben. Denn nur weil man in der Vergangenheit gross und stark war, heisst das nicht, dass man eine Zukunft hat.»
Dabei dachte er an Technologiekonzerne wie Google oder Amazon, die sich in den Markt drängen, oder kleine, agile Unternehmen, die sich auf ein Thema fokussieren – und so den Etablierten voraus sind. «In den nächsten 5 bis 10 Jahren muss die Transformation bei den Herstellern gelingen. Dabei wird es Opfer geben», sagte Bratzel.
Dem schloss sich Markus Schäfer, Vorstandsmitglied der Daimler AG, an: «Wir müssen wie Tech-Player oder Software-Entwickler denken.» Daimler hat 2014 eine eigene Einheit für Software gegründet. «Das Insourcing der Software wird weitergehen. Wir bauen hier Kompetenzen auf und müssen diesen Weg schnell gehen.» Denn ein Auto sei nicht einfach ein Smartphone auf Rädern, wie oft gesagt werde. «Vielmehr sind es 100 Smartphones, die ein Fahrzeug ausmachen.»
Weniger Probleme damit hat die Robert Bosch GmbH, wie deren Vorsitzender der Geschäftsführung, Volkmar Denner, erklärte. «Bosch ist seit vielen Jahren ein Softwareunternehmen und fast die Hälfte unseres Personals sind Softwareentwickler», sagte er. «Fahrzeuge müssen als Internet-Teilnehmer gedacht werden. Für uns sind die Autos daher kein Internet auf Rädern, sondern Internet-of-Things-Devices.»
Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, ist zufrieden, wie sein Konzern mit den Herausforderungen umgeht und die Coronakrise gemanagt hat – auch wenn er in diesem Jahr bereits so viel Liquidität verloren wie im vergangenen Jahr gewonnen hat, nämlich 10 Milliarden Euro. Immerhin: Für die zweite Jahreshälfte ist Diess positiv. «Grösse hilft in einer solchen Situation wenig; sie schützt nicht in einer Zeit des Wandels. Das sehen wir auch an der Firma Tesla, die sehr gut durch die Krise gekommen ist.» Trotzdem gebe es nur wenige Hersteller, die besser als VW aufgestellt seien. «Wir bauen schnell Software-Kompetenz auf und sind bei der E-Mobilität gut dabei», sagte Diess. «Wir werden den Wandel daher nicht nur mitmachen, sondern mitgestalten.»
Gerade bezüglich Antriebe der Zukunft gingen die Meinungen auseinander. Während sich Felix Kuhnert, Global Automotive Leader bei PwC, als Fan der Technologieoffenheit outete, kommt eine Diskussion darüber für Diess zu spät. «Der Zug ist bereits aus dem Bahnhof rausgefahren.» Er glaube zwar an Wasserstoff, aber nicht für Autos, da er zu teuer sei. Für den VW-Konzernchef gibt es darum nur den batterieelektrischen Antrieb.
Stefan Wolf, Vorstandsvorsitzender des Zulieferers Elring Klinger AG, glaubt, dass auch in 30 Jahren noch Verbrenner unterwegs sein werden. «Ich sehe die Zukunft im Verbrenner, dessen Anteil aber immer mehr zurückgehen wird, in der Brennstoffzelle und jetzt in naher Zukunft im batterieelektrischen Antrieb.» Für Wolf liegt die Herausforderung darin, «dass wir über viele Jahre viele unterschiedliche Systeme haben werden». Darüber müsse man sich global Gedanken machen, nicht nur innerhalb eines Landes.
Die Robert Bosch GmbH hat ihre Strategie schon vor Jahren auf eine elektrifizierte Mobilität ausgelegt. «Technologieoffenheit ist wichtig», sagte Volkmar Denner. «Allerdings braucht es vor allem einen Wandel des Kraftstoffs. Wir müssen ihn CO2-neutral machen.» Bosch unterstütze daher das Vorgehen, eine Wasserstoff-Industrie in Europa aufzubauen. Der Durchbruch der E-Mobilität würde laut ihm übrigens leichter werden, wenn sich die Kunden mit weniger Reichweite zufrieden geben würden. «Die Kunden kaufen heute die grösste Batterie. Aber nicht, weil sie weit fahren, sondern weil sie weniger laden wollen – also aus reiner Bequemlichkeit.»
Schliesslich brachte es Markus Schäfer auf den Punkt: «Der Blick auf den Konsumenten ist entscheidend. Wir können eine Technologie zwar eine Zeit lang subventionieren, aber wenn der natürliche Kaufreiz nicht vorhanden ist, dann wird eine Technologie nicht funktionieren!»
Der Digital Automotive Talk 2020 kann hier nachgeschaut werden.
VW-Konzern ist innovativster Konzern
pd. Neben Sparmassnahmen und Liquiditätssicherung sind Innovationen wichtige Treiber aus der Krise. Das Center of Automotive Management und PwC haben erneut die «Automotive-Innovations Awards» verliehen. Das sind die wichtigsten Preisträger 2020:
pd. Neben Sparmassnahmen und Liquiditätssicherung sind Innovationen wichtige Treiber aus der Krise. Das Center of Automotive Management und PwC haben erneut die «Automotive-Innovations Awards» verliehen. Das sind die wichtigsten Preisträger 2020:
- Innovationsstärkster Konzern: Volkswagen AG
- Innovationsstärkstes Modell: Porsche Taycan
- Innovationsstärkste Volumenmarke «Alternative Antriebe»: BYD
- Innovationsstärkster Automobilzulieferer «Antrieb»: Robert Bosch GmbH
- Innovationsstärkster Automobilzulieferer «Chassis, Carosserie und Exterieur»: Bridgestone
Die Volkswagen AG wurde als innovationsstärkster Konzern ausgezeichnet und erhielt den «Automotive-Innovations-Award» 2020. Quelle: Volkswagen.
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